Die Otto Group wird oft genannt, wenn nach einem deutschen Konzern gefragt wird, der die digitale Transformation beherzt anpackt. Warum bekommt die Otto Group das insgesamt ganz gut hin? Was ist dein Eindruck?
Ich glaube, eine wichtige Erkenntnis war dabei, dass digitale Transformation weit über die Einführung neuer Technologien und schicker Büroräume hinausgeht. Für wirkliche digitale Transformation muss sich vor allem das gemeinsame Mindset und die Haltung jedes einzelnen verändern (Stichwort: Kulturwandel). Es braucht neue Arbeitsmethoden und eine neue Kultur der Zusammenarbeit und Vernetzung. Sowas geht nicht von heute auf morgen und ist eine ganze Menge Arbeit. Das zu verinnerlichen und dann auch Maßnahmen zu ergreifen, die dieser gewaltigen Aufgabe gerecht werden – das ist aus meiner Sicht das Entscheidende.
Kannst du von einem Change Prozess erzählen, der besonders gut geklappt hat?
Wie konzernweite Zusammenarbeit nicht nur Synergien hebt, sondern auch Innovationen für die gesamte Unternehmensgruppe realisiert, zeigt unsere Beyond Touch Initiative, um eines von vielen Beispielen zu nennen. Im Rahmen dieses Projekts arbeiten Kollegen aus verschiedenen Konzernunternehmen gemeinsam an neuen Ansätzen und Ideen zum Thema Conversational Commerce, also der dialogorientierten Kundeninteraktion. Dieses Beispiel zeigt sehr schön, was sich durch den Kulturwandel in der Zusammenarbeit über Konzernunternehmen hinweg verändert. Und: Der Kulturwandel ist für uns kein Projekt, er ist ein intensiver Prozess. Er besteht aus viele einzelnen Schritten, Projekten und Initiativen wie der eben genannten, aus Mut zur Veränderung und aus vielen engagierten Mitarbeitern.
Warum hat dieser Prozess gut geklappt? Was hast du daraus gelernt?
Ich habe durch den Kulturwandel-Prozess viel dazu gelernt, worauf es bei einem Change-Prozess ankommt. Wie wichtig zum Beispiel Leadership, Ausdauer und ausreichend Schlagkraft sind.
Leadership, weil es ohne das konsequente Vorleben durch das (Top-)Management nicht geht. Ohne das Backing der Familie Otto und das konsequente Vorantreiben des Kulturwandels durch den Vorstand wäre der Kulturwandel in der Otto Group nicht da, wo er jetzt steht. Ein Beispiel: Der Vorstand trifft sich einmal im Monat (!) für einen Workshop zum Thema Kulturwandel – mein Eindruck von außen ist, dass sich dadurch auch in der Zusammenarbeit im Topmanagement vieles verbessert hat. Und das transportiert der Vorstand auch an die Mitarbeiter, dass ihm das Thema sehr wichtig ist und es jeden einzelnen und uns als Konzern erfolgreicher macht, wenn wir es beherzt angehen.
Ausdauer, weil es bei einem Kulturwandel wie bei Antibiotika ist – hört man zu früh auf, bringt es gar nichts. Man muss sich der Größe der Aufgabe von Anfang an bewusst sein und bereit sein, viel dafür zu investieren. Der Kulturwandel in der Otto Group wurde nicht als Drei-Jahres-Programm aufgesetzt und dann muss alles transformiert sein. Es gibt kein festes Enddatum mit einem definierten Zielzustand, sondern es ist ein laufender Prozess.
Schlagkraft, weil sich ein Kulturwandel nicht von allein gestaltet. In der Otto Group haben wir ein zentrales Kulturwandel 4.0-Team, das die Konzernfirmen in der Transformation begleitet, berät, befähigt und vernetzt. Zusätzlich gibt es in vielen Konzernfirmen lokale Kulturwandelteams, die den Kulturwandel vor Ort gestalten und gemeinsam mit den Kollegen herauszufinden, was ihre Organisation braucht, um dann an passgenauen Lösungen zu arbeiten. Change komplett für sich allein, neben der operativen Arbeit her, zu stemmen, ist meiner Meinung nach nicht abbildbar – es braucht Befähiger und Motivatoren, die einem immer wieder neue Impulse geben.
Kannst du auch von einem Change-Prozess erzählen, der gescheitert ist?
Da gibt es sicherlich auch einige, allerdings ist mir in meinen nun knapp drei Jahren bei der Otto Group keiner untergekommen, von dem ich mit einer ausreichend guten Wissensbasis berichten könnte. So oder so, muss der Begriff des Scheiterns in einem Change-Prozess anders gedacht werden. Scheitern hat in erster Linie mit Lernen zu tun – und dazu gehört es auch, mal Fehler zu machen.
Gibt es zu den Faktoren, die unser Change Game nennt, noch weitere Aspekte, die du wichtig findest
Ich finde das Thema Vision extrem wichtig. Ich war Teil des Projektteams, als wir vor circa zwei Jahren ein neues Leitbild für die Otto Group entwickelt haben – unter Mitwirkung von mehreren tausend Kolleginnen und Kollegen. In der Zeit habe ich viel darüber gelernt, was Menschen antreibt in ihrer Arbeit – und eine klare Vision, hinter der man sich gemeinsam versammelt, ist meiner Meinung nach eines der motivierendsten Dinge, die es gibt.
Vielen Dank für das Interview, Steffen!
Über Steffen Schuberth
Steffen Schuberth ist Projektleiter im Bereich Konzernstrategie und -entwicklung der Otto Group. Er verantwortet dort strategische Projekte rund um die Themen Konzernstrategie, Konzernentwicklung, Portfoliomanagement, neue Geschäftsmodelle und strategische Partnerschaften.
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